Wie ein Scheinwerferkegel beleuchtet das Licht der tiefstehenden Sonne die rote Diesellok am alten Bahnhof in Mistelbach. Diese grandiose Lichtstimmung erweckt mein Interesse an der Lok als Fotomotiv. Bei genauerem Hinschauen entdecke ich, dass die alte Lokomotive keine Fenster mehr hat und damit war meine Neugierde endgültig geweckt. Also sofort hin zum alten Bahnhofgebäude zwecks näherer Betrachtung.
Der Lokalbahnhof Mistelbach im Weinviertel wurde Anfang des 20. Jahrhunderts errichtet. 1906 wurde die Bahnverbindung Gänserndorf - Mistelbach aufgenommen. Nach einem knapp 100 jährigen Betrieb wurde diese 2004 stillgelegt und die Gleise teilweise abgebaut. Ebenso 1906 wurde die Strecke Korneuburg - Mistelbach - Hohenau eröffnet und bis 1998 betrieben. In Mistelbach liefen sprichwörtlich die Schienen zusammen und es ergab sich die Notwendigkeit einen zweiten Bahnhof zu errichten - den Lokalbahnhof oder auch Landesbahnhof. Es entstanden neben dem Bahnhofsgebäude diverse Wartungs- und Reperaturwerkstätten. Am Höhepunkt Mitte der 1960er waren mehr als 600 Menschen am Bahnhof beschäftigt. Bis 1976 wurden Dampfloks betrieben - am zweitlängsten in Österreich. Danach begann jedoch der Abstieg, da die Strecken nie elektrifiziert wurden und ein Dasein als Nebenstrecken führten, die schlussendlich alle eingestellt wurden. 2004 wurden dann die letzte verbliebene operative Einheit der ÖBB abgesiedelt und der Bahnhof wurde zu einem Lost Place. Er steht heute im Eigentum der Verein Neue Landesbahn.
Das alte Bahnhofsgebäude ist in einem ordentlichen Zustand und scheint erst gestern verlassen worden zu sein. Natürlich nicht mehr up-to-date, aber auch in keinster Weise verfallen oder desolat. Aber das wirklich interessante sind die alten Bahnsteige und Gleisanlagen. Aufgereiht in langen Schlangen stehen die alten Personenwaggons, Güterwaggons und Lokomotiven. Ganz vorne meine ursprünglich erspähte Diesellok - verrostet und ohne Fenster. Die roten Dieselriesen sind wahrscheinlich alle fahruntüchtig - und doch sind mittendrin liebevoll und neuwirkende Loks, die vom Verein Neue Landesbahn wahrscheinlich in unzähligen Arbeitsstunden restauriert wurde.
Auch die alte Dampflok ist leider nur mehr ein rostiges Gerippe durch das sich die letzten Sonnenstrahlen ihren Weg suchen. Faszinierende Technik einer vergangenen Zeit und sehr schade, dass die Erhaltung wahrscheinlich zeitlich und finanziell kaum möglich ist.
Die Personenwaggons aus unterschiedlichen Epochen der fast 100-jährigen Geschichte der NÖ Landesbahn sind auch imposante Zeitzeugen. Bei einem Blick in das Innere fühlt man sich wie in einer Zeitmaschine. Trotz der dicken Staubschicht scheint es, dass hier erst gestern noch die Reisenden unterwegs waren.
Innerhalb kurzer Zeit hatte ich - auch bedingt durch die faszinierenden Lichtverhältnisse - einige hundert Fotomotive gefunden. Ein faszinierender Ort und für Eisenbahnfreunde und Technikfreaks sicherlich ein empfehlenswerter Lost Place. Ein Hinweis ist jedoch unbedingt notwendig - das Gelände ist kein Spielplatz! Also bitte vorsichtig sein, nichts ruinieren oder besprayen - sondern es so hinterlassen wie es ist und sich an der Faszination dieses Ortes erfreuen.